Kindeswohl

Neues unten angefügt!


 "Definition"
 
OLG Köln vom 18.06.1999 - 25 UF 236/98 - :

"Kindeswohl bedeutet das Recht des Kindes auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Bei der Kindeswohlprüfung sind dabei die Persönlichkeit und die erzieherische Eignung der Eltern, ihre Bereitschaft Verantwortung für das Kind zu tragen und die Möglichkeiten der Unterbringung und Betreuung zu berücksichtigen, wozu als wesentliche Faktoren die emotionalen Bindungen des Kindes zu den Eltern und anderen Personen treten." 



Eine Kindeswohl-Definition aus dem Jahr 1974:
 

In der Urteilsbegründung einer OLG-Sorgerechtsentscheidung wird Kindeswohl wie folgt definiert:

„Das Wohl eines Kindes liegt in seiner Entwicklung zur leiblichen, seelischen und gesundheitlichen Tüchtigkeit. Das Kind dahin zu führen, d. h. zu einer Persönlichkeit heranzubilden, ist das Ziel der Erziehung (vgl. § 1 I JWG! ferner Staud.-Göppinger, § 1666 BGB, Rdn. 235 m.w.N.; Palandt, BGB, 33. Aufl., § 1671 Anm. 3). Abzustellen ist darauf, was dem Kindeswohl auf lange Sicht am besten dient; vorübergehenden Verhältnissen darf kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden.
...
Die Übernahme Birgits in die Familie des Vaters dient auch sonst dem Wohle des Kindes. Es wird zwar zunächst einer seelischen Belastung durch die Trennung von den lang vertrauten und ihm lieben Bezugspersonen ausgesetzt sein. Jedoch sind alle Voraussetzungen dafür gegeben, dass diese Belastung relativ schnell vorübergehen wird.“

OLG Hamm v. 4.4.1974 – 15 W 2/73, DAVorm 1975, Sp. 156 ff. (167)


 
Was heisst Kindeswohl?

Unter diesem Titel findet sich im Internet ein Text des Wiener Universitätsdozenten Dr. Helmuth Figdor.

zum Text


Koeppel´s NETZKOMMENTAR NUMMER EINS:

Dolto, Kindeswohl und die deutschen Familiengerichte

Die weltbekannte französische Kinderanalytikerin und Kindertherapeutin Francoise Dolto (gest. 1989) schrieb in ihrem zeitlos aktuellen Buch

Scheidung. Wie ein Kind sie erlebt
Francoise Dolto im Gespräch mit Inès Angelino
Klett-Cotta 1993, ISBN 3-608-95978-5,

"Bei Gericht wiederum sollte man nicht übersehen, daß die Maßnahmen, die 'zum Wohle des Kindes' getroffen werden, die Ausgangsbasis für die Autonomie des Heranwachsenden sind. Die Entwicklung des Kindes verläuft dynamisch, und deshalb sollte der Beschluß über das Sorgerecht immer wieder überprüft werden. ... Dabei sollten auch die neuesten psychologischen Erkenntnisse herangezogen werden. Das Sorgerecht muß unter drei verschiedenen Gesichtspunkten zuerkannt werden:
    - was im Augenblick dem Wohl des Kindes dient, damit es nicht "kaputtgeht";
    - was mittelfristig dem Wohl des Kindes dient, damit es nach dieser schweren Zeit seine Entwicklungsdynamik wiedergewinnt;
    - und was langfristig dem Wohl des Kindes dient, damit es sich von seinen Eltern trennen kann."
Hierzu ist anzumerken:

  • Das ins Deutsche übersetzte Buch stammt aus der Zeit vor der jüngsten deutschen Kindschaftsrechtsreform, deshalb ist das Wort Sorgerecht durch Lebensmittelpunkt zu ersetzen.
  • Der Hinweis der Autorin auf die mittel- und langfristige Auswirkung entspricht der Aussage

                "Nach unsere Auffasung ist unter Kindeswohl nicht nur das kurz-, sondern vor allem auch das mittel- und langfristige Interesse des Kindes an einer
                gesunden Entwicklung und an seiner späteren Beziehungsfähigkeit zu verstehen." (Kodjoe / Koeppel in: DAVorm 1998, Sp. 136 oben)

    Zwar haben sich die Sorgerechtsentscheidungen stets am Kindeswohl zu orientieren, jedoch wird ihre mittel- und langfristige Auswirkung nur selten beachtet und vielmehr, gestützt auf ähnlich argumentierende familienpsychologische Gutachten, auf Vergangenheit und status quo abgestellt.
  • Ebenso wenig wird die Forderung der Autorin beachtet, sorgerechtliche Entscheidungen immer wieder zu überprüfen. Dies hängt nicht nur mit der Arbeitsüberlastung der Familiengerichte zusammen, sondern entspricht insbesondere der erlernten richterlichen Arbeitsweise, eine Sache endgültig  zu entscheiden. Wobei leider darüber hinweggegangen wird, dass ein Kind keine Sache ist und sich Familiensysteme ständig weiterentwickeln.
      © 2001 Peter Koeppel

Zwischen Baum und Borke -
Loyalitätskonflikte von Kindern im Trennungs- und Scheidungsprozeß

von Inés Brock
Leiterin der Erziehungsberatungsstelle im IRIS-Regenbogenzentrum Halle
appr. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin


Gliederung:

  1. Das Beste für das Kind - Kindeswohl
  2. Der Familienbegriff und das Phasenmodell der Verstörung
  3. Stadien der Ehekrise und des Trennungs- und Scheidungsprozesses
  4. Loyalitätskonflikte - ihre Entstehung und Ausprägung
  5. Bindungssicherheit - gute und schlechte Bedingungen
  6. Konsequenzen für den Umgang mit Scheidungskindern
  7. Elterliche Fähigkeit, die gefördert werden müssen

Das Beste für das Kind - Kindeswohl

Den Übergang zu einer neuen familialen Organisation der Familie erlebt heute jedes dritte Kind. Wie das einzelne Kind auf eine solche Situation reagiert, hängt von vielen Faktoren und Einflüssen ab. Auch wenn größere Anpassungs- und Bewältigungsleistungen zugemutet werden, als bei vergleichbaren Altersgenossen, braucht nicht jedes Scheidungskind eine Therapie. Dennoch muß davon ausgegangen werden, daß die Eltern in einer Phase, in der sie die Kinder am meisten brauchen, oft selbst nicht in der Lage sind, die nötige Zuwendung zu geben.

Wenn man über Loyalitätskonflikte von Kindern im Trennungs- und Scheidungsprozeß reden will, muß man mit denken, daß es Gesetzgebungsabsicht ist, Entscheidungen zu treffen, die dem Kindeswohl entsprechen. Was jedoch im Einzelfall dieses Kindeswohl bedeutet, ist schwer zu beweisen, da Kindeswohl ein dynamischer Prozeß ist, dem man nur optimale Rahmenbedingungen setzen kann. Ich beneide niemanden, der hierbei Entscheidungen treffen muß. Wahrscheinlich muß man sich trennen von der Vorstellung, das Beste für das Kind zu entscheiden, sondern eher den Anspruch verringern, indem Voraussetzungen geschaffen werden sollen, die die größtmöglichen Chancen offenlassen, daß es sich zum Guten hin entwickeln kann.

Im folgenden möchte ich versuchen, einige Argumente, Fakten und Bedingungen zu beschreiben, die das ermöglichen:

Eine Entscheidung, die dem Kindeswohl dienen soll, ist schwer zu treffen, da im Gerichtssaal und bei Anhörungen nicht immer davon ausgegangen werden kann, daß von den Beteiligten eine Wahrheit verkündet wird, die den Ausgang des Verfahrens im Sinne des Kindeswohles auch wirklich trifft. Dabei handelt es sich möglicherweise um internalisierte Wahrheiten, die jedoch den bezug zum Ganzen verloren haben. Auch wenn die Eltern ihre Beobachtungen nutzen, um zu ihrer Wahrheit zu gelangen, ist von ihnen nicht zu erwarten, daß sie objektiv und neutral urteilen können. Selbst die begrüßenswerte Befragung des Kindes führt nicht zwangsläufig zur Ermittlung des "Besten für das Kind". In der Diskussion um das Kindeswohl wurde der Begriff der affektiven Tendenz beschrieben. Der innere Wille des Kindes kann im Widerspruch zu dem stehen, was das Kind anderen gegenüber äußert. Die Schwierigkeit liegt also darin, daß Kinderäußerungen vom affektiven Streben dieser Kinder abweichen können. Das ist umso stärker der Fall, je massiver der Druck ist, dem sie seitens ihrer streitenden Eltern ausgeliefert sind. Die Frage nach dem Ort, wo das Kind leben will, macht Angst. Richtiger ist es, sich unverfänglicher nach der Bindung zu erkundigen, die das Kind zum jeweiligen Elternteil entwickelt hat. Damit trifft man jedoch nur eine aktuelle Befindlichkeit, die noch im Eindruck des Scheidungsprozesses stehen kann und entwicklungsbedingt veränderbar ist. Auch sagt Bindung alleine noch nichts über Erziehungsfähigkeit aus. Auch wenn sicher gebundene Kinder insgesamt leichter mit der Situation umgehen können, ist es doch in hohem Maße auch von der altersspezifischen Fähigkeit von Folgenabschätzung abhängig, wie sich Kinder positionieren.

Auf keinen Fall sollte die Entscheidung über den Lebensmittelpunkt auf das Kind abgewälzt werden, denn damit wird es nicht nur überfordert, sondern ihm wird ein Anteil an Schuld zugeschoben, den es im Erwachsenenkonflikt nicht tragen darf und kann. Außerdem wird ihm mit dieser verordneten "Anmaßung" ein Machtinstrument in die Hand gegeben, daß das Kind dann eher geneigt ist entgegen seinem eigenen Wohl einzusetzen.

Der Familienbegriff und Das Phasenmodell der Verstörung

Familie ist ein biologisches und ein soziales System. Die Einheit dieser beiden Funktionen kann als Grenzfunktion zwischen biologischen und sozialen Systemen verstanden werden. Aus biologischer Perspektive macht erst die Existenz von Kindern die Familie. Sie ist Überlebensgarant und Herkunftsdefinition. Aus ihr entsteht das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Mit der Geburt ist die Ordnung festgelegt, eine Ordnung, die bis zum Tod fortdauert und nur verändert wird durch das Hinzukommen weiterer Nachkommen.

Familie als soziales System wird definiert über das Schaffen von Rahmenbedingungen der psychischen Entwicklung und den Kontext in dem sich Verhaltensweisen entwickeln. Familie vermittelt Regeln der Kommunikation und ist identitässtiftend. Die ungeheure Variationsbreite von Familienformen innerhalb der Gesellschaft führt dazu, daß unterschiedliche Kommunikationsmuster aufeinandertreffen. "Die soziale Familie, als Kommunikationssystem, dessen Strukturen nur wenig programmatisch festgelegt sind, gewinnt ihre Flexibilität und ihre Formbarkeit aus der losen Koppelung ihrer interaktionellen Elemente." (Simon, System Familie,3/2000, S. 148)

In konflikthaften Kommunikationsstrukturen, und mit denen müssen wir rechnen, wenn es um Trennung und Scheidung geht, kommt es sehr schnell zu Verstrickungen. Das heißt es fällt dem Individuum schwer, sich abzugrenzen von den Beziehungen, die eigentlich nichts mit ihm selbst zu tun haben, die aber ihre Wirkung auch dort entfalten. Es bleibt dem oberflächlichen Beobachter dann nur übrig, Vertrauen in die Selbstorganisationsfähigkeit des Familiensystems zu haben. In den meisten Fällen gelingt das auch über kurz oder lang. Die pathologischen Fälle müssen dann psychotherapeutisch behandelt werden.

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, daß die jeweilige Familie die richtige Lösung findet, dabei braucht sie meistens Zeit und manchmal professionelle Hilfe vor allem in Übergangsphasen.

Für die Kinder, die ihren richtigen Platz noch suchen, ergibt sich die Schwierigkeit, daß Bedingungen geschaffen werden müssen, die ihnen die bestmöglichen Entwicklungschancen eröffnen. Dazu nur ein Beispiel:

Jungen entwickeln während ihrer frühen Kindheit eine starke Bindung an die Mutter, die dann in der Vorpubertät dazu befähigt, an der Seite des Vaters zum Mann zu werden. Mädchen hingegen, verlassen den Bannkreis der Mutter etwas früher, um sich im Vater als Gegenüber zu begreifen, kehren dann zur Mutter zurück, um an ihrer Seite zur Frau zu werden. Diese idealtypische Beschreibung vernachlässigt wichtige Details, konzentriert sich aber auf das Wesentliche. Diese Identifizierungen mit den leiblichen Eltern werden immer stattfinden. Der Junge braucht das männliche Vorbild, die Erlaubnis, so werden zu dürfen, wie der Vater. Das Mädchen braucht das männliche Gegenüber, den ersten "Mann", den sie liebte, um später unbefangen in Partnerbeziehungen zu gehen.

Auch Mütter, denen es nicht gelingt, sich stark zu zeigen, bilden ein problematisches Identifizierungsobjekt ab, da dem Kind Schutz und Geborgenheit fehlt. Das behindert gesunde Trauer und aggressive Regungen, weil die Kinder die Mutter beschützen müssen. Die Ordnung in der Familie ist verdreht.

Auch idealisierte abwesende Väter erschweren eine realistische Selbsteinschätzung insbesondere bei Jungen, da ein realistisches Bild vom Mann nicht gewonnen werden kann.

Jugendlichen wird der notwendige Ablöseprozeß erschwert, weil sie ihren Eltern nicht das gleiche zumuten wollen, was sie erlebt haben, nämlich verlassen zu werden.

Die Verstörungen in Familien, die sich in der Trennungsphase befinden sind existenziell, geben aber auch die Chance, etwas neu zu beginnen und es letztlich besser zu machen.

Stadien der Ehekrise und des Trennungs- und Scheidungsprozesses

  • Ambivalenzphase - Gefühls- und Beschlußphase - Desorganisation
  • Trennungs- und Scheidungsphase - juristisch begleitete Phase - Neuorganisation
  • Nachscheidungsphase - Anpassungsphase - Reorganisation

Die betroffenen Eltern meinen oft, daß mit der Scheidung die Ehe und damit die Familie neu geordnet ist. Aber der Systemcharakter von Familie belegt, daß Beziehungsmuster noch lange Zeit nachwirken und auch destruktive Umwertungen der vorhandenen Gefühle, diese Gefühle deshalb nicht aufheben. Kinder bleiben ihr Leben lang an die leiblichen Eltern gebunden. Das geschieht oft unbewußt und ist in der Psychotherapie eine von allen geteilte Grundannahme.

Das Auseinanderbrechen der Ehe und damit der Familie zerstört das idealisierte Elternbild der Kinder. Damit wird ein Teil des Über-Ichs geschwächt, der die Eltern als Träger der Vollkommenheit und Allmacht verkörpert. Im Erleben der Kinder herrscht trotz der Trennung der Eltern weiterhin ein homogenes Familienbild vor. Die Primär- oder Ursprungsfamilie bleibt bei den Kindern lange bestimmend, wenn das anerkannt wird, kann auch eine Stieffamilie gelingen.

Loyalitätskonflikte - ihre Entstehung und Ausprägung

Keine richtige Familie mehr zu haben, gehört zwar heute nicht mehr zu den Ausnahmefällen, dennoch führt es bei Kindern oft zu dem Gefühl, daß etwas mit ihnen nicht in Ordnung sei, zu Schuldgefühlen, Schmerz und Kränkung und einem beträchtlichen Machtverlust, weil die Verfügbarkeit des abwesenden Elternteils nur selten von ihnen selbst kurzfristig zu erzeugen ist.

Die Hilflosigkeit mit den ihnen aufgebürdeten Loyalitätskonflikten umzugehen, die Enttäuschung die Trauer und die Ohnmacht führen bei vielen Kindern zu einen zumindestens vorübergehenden Absinken des Selbstwertgefühls. Das Kind muß zudem befürchten, mit der Absage an die Bündniserwartungen zum Verlust der Liebe des entsprechenden Elternteils beizutragen. Bei Fortdauer der aggressiven Auseinandersetzungen zwischen den Eltern entsteht bei den Kindern, das Gefühl, Anlaß des Streites und letztlich nicht erwünscht zu sein.

Daß Kinder nur in extremen Ausnahmefällen den Kontakt mit dem anderen Elternteil echt ablehnen, in Wirklichkeit aber unter den elterlichen Aggressionen leiden und allenfalls einem nach dem Munde reden, das kann nur selten auf den ersten Blick erkannt werden. Unbewußte Bündnisse mit einem Elternteil kann ein Familienrichter oder Anwalt nicht entschlüsseln, da dazu ein kritischer Umgang mit der eigenen Wertewelt, der eigenen Person und methodisches Rüstzeug notwendig ist. Auch braucht das Zeit, die innerhalb eines Sorgerechtsverfahrens nicht vorhanden ist.

Das Kind zwischen den Erwachsenen steht unter massivem Druck und wird mitunter in einer Anhörung etwas von sich geben, vom dem es meint, daß es von ihm erwartet wird. Deshalb sollte das ABC der Kindesanhörung sein: A-wie Angst mindern, B- wie Beziehung aufbauen, C- wie Chancen erweitern.

Bindungssicherheit - gute und schlechte Bedingungen

Die mit der Elterntrennung verbundenen Gefühle führen zu einer großen Belastung, der sie v.a. wegen des beeinträchtigten Zugangs zu den vertrauten Bindungspersonen nicht gewachsen sind.

Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien zeigen häufiger eine emotionale Labilität, Kontaktangst, ein unrealistisches Selbstkonzept, unangepasstes Sozialverhalten und instabiles Leistungsverhalten. Dabei zeigen sich einerseits differenzielle Alterseffekte. Kinder im Vorschulalter gelten als am gefährdetsten. Kleinere Kinder sind aufgrund ihres kognitiven Entwicklungsstandes noch nicht in dem Maße in der Lage, die familiären Veränderungen genauer zu registrieren, Betroffenheit zu erleben und den Scheidungsprozeß zu verstehen. Dadurch entwickeln sich Schuldgefühle.

Scheidungsjungen können sich weniger leicht als Mädchen auf neue Situationen einstellen und sich diesen anpassen, da sie ihre Gefühle zu selten äußern und sich sich von der Außenwelt abschirmen.

Deshalb kommt der Konsensbildung zwischen den Partnern eine besondere Bedeutung zu. Scheidungskinder mit einer guten Beziehung zum Vater, der in den meisten Fällen der außerhalb des Haushaltes lebende Elternteil ist, verfügen über ein höheres Selbstbewußtsein. Die Bedeutung der elterlichen Paarbeziehung ist sehr weitreichend. Angst um das Kind, wenn es sich beim jeweils anderen Elternteil aufhält, belastet die Kinder und sie erleben ihre Eltern als wenig verläßlich. Nur bei einer sehr kleinen Gruppe sind nicht tragfähige Vater-Kind-Beziehungen auf Dauer zu befürchten.

Es entspricht dem Kindeswohl, das heißt einer gedeihlichen Erziehung der Kinder, daß ihm beide Eltern erhalten bleiben, auch der umgangsberechtigte Elternteil, denn das Umgangsrecht ist ein Recht eigener Qualität und dem Sorgerecht nicht untergeordnet.

Nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH 4 StR 594/98) macht sich ein allein sorgeberechtigter Elternteil wegen Kindesentziehung strafbar, wenn er das Kind dem umgangsberechtigten Elternteil entzieht.

Eine in der Literatur heftig dikutierte Symptomatik bei Scheidungskindern in diesem Zusammenhang ist das Parental Alienation Syndrom (PAS). Überidentifikation und extreme Loyalitätshaltung des Kindes im Trennungskonflikt wird damit beschrieben. Es handelt sich um eine Neuformulierung eines bekannten Phänomens kindlichen Verhaltens und elterlichen Erlebens und äußert sich in der Ablehnung des persönlichen Kontaktes zum umgangsberechtigten Elternteil. Man kann es auch als identifikatorische Übernahme von Elternargumenten verstehen. Die emotionale Tragfähigkeit der Beziehung wird dauerhaft belastet. Kinder bleiben verstrickt in die elterlichen Konflikte und es droht das Damoklesschwert der Sorgerechtsentziehung. PAS kann ein Hinweis auf erheblich eingeschränkte Erziehungskompetenz sein. Die Weigerung zur Mitarbeit wird vom Helfersystem mißbilligt.

Kindesentziehung kann aber auch als sinnhaftes Lösungsverhalten interpretiert werden, wenn man davon ausgeht, daß es dem Kind wirklich vorübergehend schlechter geht. Die Interpretation von Kindesäußerungen werden integriert in ein Erwartungsmuster, wo genau das gehört wird, was gehört werden will. Es geht um unbewußte und verständliche Fehleinschätzung der Situation. Schutzbehauptungen des Kindes werden überbewertet, man ist geneigt, dem Kind plötzlich mehr zu glauben als dem anderen Erwachsenen, obwohl Phantasie- und Wunschwelt für Kinder so realitätsnah sind, daß die Wahrheit bis zum Ende des Grundschulalters nicht 100 %ig ermittelbar ist.

Motive der Entfremdung sind nachvollziehbar die Folgen dürfen jedoch nicht toleriert werden. Die Aufhetzungstheorie verhindert, die eigene Unfähigkeit mit der Situation umzugehen, wahrzunehmen. Gegenseitige Abwertung ist einfacher als zugeben zu müssen, daß man selber Fehler gemacht hat und macht. Außerdem: Die Liebe des Kindes zum geschiedenen Partner tut weh und macht Angst. Die Ablehnung des Umgangsberechtigten durch das Kind bei der Übergabesituation ist noch kein hinreichender Hinweis auf schlechte Vorbereitung des Kindes, sondern oft steht die generalisierte Angst vor jeder Trennungssituation dahinter, denn nun muß die Mutter verlassen werden.

Diese Loyalitätskonflikte führen zu Kontaktvermeidung, da die elterlichen Spannungen als so unerträglich empfunden werden, daß es die betroffenen Kinder nur noch schaffen, die Zuneigung zu einem Elternteil zu leben und die Gefühle zum anderen abzuspalten.

Den Vater zu treffen, bedeutet für das Kind, auf die Mutter verzichten zu müssen. Die Mutter wieder haben, bedeutet den Vater wieder verlassen zu müssen. Der Objektwechsel aktiviert an den Besuchstagen jedesmal das Scheidungserlebnis und mit ihm die typischen Ängste und Affekte. Besuch und Rückkehr sind somit schon ohne Zutun der Eltern Loyalitätskonflikte. Diese Aktivierung verflacht jedoch im Laufe der Zeit, wenn Eltern ermutigt werden, die Gefühle ihrer Kinder ernst zu nehmen, ohne sie als Argument gegen eine Besuchsregelung zu benutzen. Verläßlichkeit ist dabei wünschenswert. Nach ca. zwei Jahren haben sich die meisten Kinder an die neue Situation gewöhnt, und beginnen sogar Nutzen aus ihr zu ziehen.

Das Kind hat gelernt, daß es sich trennen kann und darauf vertrauen darf, daß das gerade verlassenen Objekt erhalten bleibt.

Ruhe, die das Kind nach einer Scheidung braucht, ist nicht die Ruhe der dauerhaften Abwesenheit des anderen Elternteils, sondern die Ruhe der Eltern, um sich neu zu orientieren und in den neuen Ordnungen zurechtzufinden. Ruhe heißt Entspannung im Sinne von Minimierung des permanent erhöhten affektiven Erregungsniveaus.

Kinder haben noch Jahre nach der Scheidung die Sehnsucht nach Wiedervereinigung der Eltern. Das führt manchmal zur Fortführung einer Symptomatik, die schon während des Trennungsprozesses den unbewußten Zweck hatte, die Eltern von ihren gegenseitigen Beziehungsproblemen abzulenken, um zu erreichen, daß sie sich in der Sorge um das Kind wieder vereinigen. Deshalb ist es hilfreich, diese Sehnsucht zu akzeptieren, jedoch deutlich zu machen, daß es darum nicht mehr gehen kann.

Konsequenzen für den Umgang mit Scheidungskindern

Das Paradoxon, was von geschiedenen Eltern erwartet wird, ist, daß sie nach der Trennung besser kooperieren müssen als vorher. Ansprüche an Erziehung, Transparenz, Offenheit und Annahme müssen entwickelt und ausgehandelt werden. Und das in einer Zeit in der Kommunikation besonders schwer fällt. Deshalb mein Plädoyer für mediative Elemente im Scheidungsverfahren, wenn Kinder involviert sind. Vertrauen in die Lösungskompetenz der Eltern setzt Neutralität und Allparteilichkeit voraus.

Im Umgang mit Sorgerechts- und Umgangsfragen sollte vermieden werden, erwachsene eventuell mittelständisch orientierte Wertekategorien zu übernehmen. Kinder lieben ihre Eltern in einem so ursprünglichen Sinn, daß sie unbewußt bereit sind, Symptome zu entwickeln, die ihre Eltern in die Achtung setzen. Dazu nur ein Beispiel aus der Psychotherapie: Kinder sind bereit, ihrem ausgerenzten Vater durch Selbstmord bis in den Tod zu folgen. Suizid ist die zweithäufigte Todesursache unter 18.

Die Wertschätzung dieser kindlichen Bedürfnisse muß oberstes Prinzip jeder Entscheidung sein. Daß die Option, auch den ausgezogenen Vater lieben zu dürfen, offen bleibt- das führt dazu, daß das Kind die Seite an sich, ("du wirst wie dein Vater") die den väterlichen Anteil repräsentiert, und damit sich selbst achten kann.

Kinder können nur dann als Gewinner einer Umgangsregelung hervorgehen, wenn man ihre altersgemäßen Besonderheiten berücksichtigt, ihre Lösungs- und Bewältigungsmodelle betrachtet und die objektiv vorhandenen Ressourchen bedenkt. Das heißt insbesondere

  • bis zu 18 Monaten keine Übernachtungen außerhalb des Lebensmittelpunktes, Beziehungspflege häufig und nur stundenweise, vorwiegend innnerhalb der vertrauten Umgebung und keine langen Abwesenheitsphasen von der Hauptbezugsperson.
  • Entwicklungsaufgabe: Entwicklung der Bindung
  • Bis drei Jahre sind Übernachtungen außerhalb möglich, jedoch längere Aufenthalte beim anderen Elternteil noch nicht zu empfehlen. Das Kind sollte dynamische Übergabesituationen erleben dürfen und im gewohnten Umfeld (Spielplatz etc.) betreut werden. Regelmäßigkeit ist wünschenswert .
  • Entwicklungsaufgabe: Individuation
  • Im Vorschulalter sind Vorhersagbarkeit und Zuverlässigkeit am wichtigsten, das Kennenlernen verschiedener Lebensrealitäten ist zumutbar ebenso wie Besuche über Nacht.
  • Entwicklungsaufgabe: Selbstkontrolle
  • Im Schulalter ist auch langfristigere und auch spontane Planung möglich, wertschätzende Gesten, wie Briefe und Anrufe gewinnen an Wichtigkeit.
  • Entwicklungsaufgabe: Identitätsfindung
  • Jugendliche ab 12 Jahren sollten in die Planung mit einbezogen werden, ohne ihnen dabei zu viel Macht zu geben, Regelmäßigkeit verliert an Bedeutung. Aushandeln von verläßlichen Regeln, die dann von allen eingehalten werden im Sinne einer Familienkonferenz, ist wünschenswert.
  • Entwicklungsaufgabe: Ablösung

In jedem Alter ist es unabdingbar, zum Finden einer emotionalen Stabilität beizutragen. Neuartige Rollenzuschreibungen brauchen Zeit und die Phase der Instabilität kann bei den Heranwachsenden eine Fähigkeit entwickeln, Konflikte zu lösen. Das zeigt sich oft in einer schnelleren Reifung der Bewertungsfähigkeit von Beziehungen und zu einer erhöhten Selbstreflexion. Diese Kompetenzen gehören zu den positiven Effekten, die eine Trennung der Eltern für das Kind haben kann. Das Kind lernt sich zu orientieren in verwirrenden Strukturen und damit wird seine Anpassungsfähigkeit geschult. Durch die unterschiedlichen Kompetenzen auf allen Seiten, die Wertschätzung der Lösungsmodelle beider Eltern erfährt das Scheidungskind auch eine Horizonterweiterung. Verschiedene Lösungsstrategien kennenzulernen, erhöht die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen, jenseits der akuten Betroffenheit.

Schutzfaktoren für das Kind bieten vor allem kooperative Familien, bei denen beide Elternteile die Verbundenheit zu den Kindern pflegen. Ziel jeglicher Intervention muß es demnach sein, Bedingungen zu schaffen, die das ermöglichen.

Kooperationsfähigkeit kommt nicht von alleine. Dabei ist vor allem zu beachten, daß nach zwei bis sechs Jahren die Beziehungsgestaltung einen Punkt erreicht hat, an dem dies bei den meisten Paaren möglich ist. Die Zeit dazwischen muß demnach so gestaltet werden, daß Kontinuität in den Kontakten ermöglicht wird. Bedenken und Befürchtungen müssen ernst genommen werden, jedoch als obligate Phase verstanden werden, die es durchzustehen gilt.

Elterliche Fähigkeit, die gefördert werden müssen:

  • Kooperation als Eltern- in der Trennung von der Paarebene
  • Sichern der Kontinuität der Beziehung zum Kind
  • Bedürfnisse der Kinder von den eigenen unterscheiden
  • fortgesetzte Liebe zu Mutter und Vater ist in Ordnung
  • mit Kinder zu sprechen, auch über Gefühle der Trauer und Wut
  • Konsequenz und Berechenbarkeit bei der Umgangsgestaltung

Die Sicherung bestmöglicher Entwicklungschancen für das Kind nach der Scheidung wird am besten dann gewährleistet, wenn es den Eltern gelingt, den Kindern die Fortsetzung einer intensiven Beziehung zu beiden Elternteilen zu ermöglichen. Die Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder sind so zu begrenzen oder vielleicht sogar zu verhindern.

 

 

eingefügt bei Väter-Welt 05.11.02

Wenn Väter zu Fremden werden...

Mechtild Gödde

Einleitung

Auch wenn Eltern nicht - oder nicht mehr - zusammenleben, sollte das Kind zu beiden Eltern Kontakt haben - so schreibt es z.B. das UN-Abkommen zu den Rechten von Kindern aus dem Jahre 1989 fest. Auch die deutsche Gesetzgebung stellt das Recht des Kindes auf Kontakt zu beiden Eltern unter ihren besonderen Schutz. Der Staat hält viele Hilfen bereit (z.B. durch Beratungsangebote in Jugendämtern, Erziehungsberatungsstellen oder spezialisierten Trennungs- und Scheidungsberatungsstellen), damit dieses Recht des Kindes auch unter schwierigen Umständen verwirklicht werden kann.

Doch es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl von Kindern, die keinen oder nur seltenen und unregelmäßigen Kontakt zum außerhalb lebenden Elternteil haben. Schätzungen zufolge liegt diese Zahl zwischen 40 und 60%. Wenn im Titel dieses Beitrags nur von Vätern gesprochen wird, wird damit der Tatsache Rechnung getragen, dass fast immer die Vater-Kind-Beziehung von einem Kontaktabbruch betroffen ist. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die meisten Kinder nach einer elterlichen Trennung bei der Mutter leben. Internationale Studien zeigen aber auch, dass es Müttern eher gelingt, den Kontakt zu ihren Kindern zu halten, wenn sie nicht mehr mit ihnen zusammen wohnen.

Wie verläuft die Entwicklung von Familienbeziehungen, bei der ein Elternteil immer stärker ausgegrenzt und schließlich "zum Fremden" für das Kind wird? Zwei Hauptgründe lassen sich unterscheiden, die in extrem konflikthaften Fällen meistens zusammentreffen und sich wechselseitig beeinflussen:

  1. In einer schwierigen Nachtrennungssituation ziehen sich manche Eltern (innerlich und/oder äußerlich) zurück, und es gelingt ihnen nicht, den Bedürfnissen des Kindes in dieser Situation gerecht zu werden. Hier ist ein Rückzug aus der Elternrolle zu beobachten.
  2. Das Kind steht in einem starken Loyalitätskonflikt zwischen zwei Eltern, die sich gegenseitig bekämpfen und das Kind in die Auseinandersetzung einbeziehen, in der Folge kommt es zum Rückzug des Kindes.

 

Rückzug aus der Elternrolle

Manche Eltern sind in der Zeit der Neuorientierung nach einer Trennung durch ihre eigenen Probleme extrem belastet. Zu den oft jahrelangen Schwierigkeiten, die dem Entschluss zum Abschied aus der Partnerschaft in der Regel vorausgehen, kommen zunächst neue Aufgaben und Probleme: die konkrete Vorbereitung und Abwicklung der räumlichen Trennung, Fortsetzung der Ehestreitigkeiten auch in der Zeit danach, finanzielle bzw. berufliche Belastungen, begleitende oder auch schon vorausgegangene psychische Probleme, eventuell neue Partnerschaften etc.

Manche Menschen - vor allem diejenigen, die über wenig Unterstützung von außen verfügen - leiden unter diesen Schwierigkeiten so sehr, dass es ihnen nur unzureichend gelingt, die Kontakte zu ihren Kindern in dieser Zeit regelmäßig zu pflegen und sie so zu gestalten, dass sie für die Kinder positiv verlaufen. So kann es dazu kommen, dass die Kinder mit den Sorgen und Problemen des Erwachsenen konfrontiert werden, aber für die Fragen und Nöte der Kinder oder auch für ihren Wunsch nach einem unbefangenen und unbelasteten Kontakt mit dem Vater nicht genügend Raum bleibt. Häufig kommt es in der Folge - durchaus auch ausgehend vom Vater - zu einer Abnahme der Kontakthäufigkeit, was schließlich zu einem völligen Abbruch des Kontakts führen kann.

Dieser Rückzug aus der Elternrolle wird begünstigt, wenn Mütter den Vater bei der Reorganisation des eigenen Lebens als "Störenfried" empfinden. Dies ist vor allem dann zu beobachten, wenn ein neuer Partner da ist, mit dem eine "bessere" Familie gegründet werden soll. Der Wunsch nach einem möglichst vollständigen Bruch mit der Vergangenheit kann dazu führen, dass die Unterstützung der Beziehung der Kinder zum leiblichen Vater zur lästigen Pflicht wird. Auch hier ist ein Rückzug aus der Elternrolle zu beobachten, in dem Sinne, dass die Mütter dazu neigen, die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder zu übersehen und sich hauptsächlich mit der Verwirklichung ihrer eigenen Vorstellungen beschäftigen.

In einigen Fällen, in denen es später zu einem Kontaktabbruch kommt, gibt es aber auch - manchmal im Anschluss an einen Rückzug in der ersten akuten Trennungsphase - schon direkt nach der Trennung eine fast gegenläufige Entwicklung. Diese Väter beschäftigen sich plötzlich viel intensiver und gezielter mit ihren Kindern, als sie das in der Zeit vor der Trennung getan haben. Sie entdecken ihre Vaterrolle neu, nehmen Verantwortungen wahr, die bisher an die Mutter delegiert waren. Sie kümmern sich z.B. mehr um die schulische Entwicklung der Kinder und machen viele Freizeitunternehmungen mit ihnen.

Rückzug des Kindes

Nicht immer führt diese aus der Sicht des Kindes zunächst positive Veränderung des väterlichen Verhaltens aber zu einer längerfristig günstigen Normalisierung und Stabilisierung der Beziehungen. Vielmehr kann es auch sein, dass das Kind auf diese Weise verstärkt in die elterlichen Auseinandersetzungen nach der Trennung einbezogen wird. Plötzlich ist es mit zwei konkurrierenden Lebenswelten konfrontiert - es geht dann auch darum, wer der "bessere" Elternteil ist, wer dem Kind mehr bietet, es besser versteht, besser auf seine Bedürfnisse eingehen kann. Immer häufiger und extremer werden die (häufig gegenseitigen) Vorwürfe der Eltern, der oder die andere kümmere sich nicht angemessen um das Kind - wobei von extremer Verwöhnung bis hin zu Vernachlässigung und dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs alle möglichen Spielarten der gegenseitigen Beschuldigung auftauchen.

In einem solchen Szenario elterlicher Rivalität werden für die Kinder, die in der Regel zu beiden Eltern eine enge Beziehung haben, die Besuche beim außerhalb lebenden Elternteil scheinbar zu einer Belastung. Dies gilt umso mehr, wenn die Eltern die Kinder mit ihren eigenen Problemen belasten. Bezeichnenderweise drückt sich die allgemeine Belastung der Kinder jedoch vor allem in den Übergangssituationen aus (vor dem Besuch oder nach der Rückkehr) - und nicht in der Zeit, in der sie beim anderen Elternteil sind. Es sind also vermutlich in erster Linie nicht die Erfahrungen, die die Kinder mit den Eltern selbst machen, sondern die Unvereinbarkeit der beiden Lebenswelten sowie die gegenseitige Abneigung und das Misstrauen, das die Kinder spüren und das es ihnen so schwer macht, unterschiedliche Erfahrungen und Lebenswelten zu integrieren.

Die Belastungen der Kinder werden entsprechend häufig zunächst vom sorgeberechtigten Elternteil registriert. Meistens sind sie mit ihm vertrauter und drücken deshalb ihm gegenüber auch eher Ärger, Belastung und Traurigkeit aus. Die Kinder spüren aber sehr genau, wenn das Verhältnis der Eltern stark von Rivalität und Misstrauen geprägt ist und thematisieren häufig vor allem die Aspekte, die zur negativen Einstellung der Mutter oder des Vaters gegenüber dem anderen Elternteil "passen". So tragen sie selbst dazu bei, dass auch bei den Eltern die Bereitschaft, den jeweils anderen allein für die Belastung des Kindes verantwortlich zu machen, erhöht wird.

Wenn das Konfliktniveau zwischen den Eltern auf diese Weise zunimmt und für die Kinder unerträglich wird, versuchen sie schließlich, ihren inneren Druck zu bewältigen, indem sie sich immer deutlicher gegen einen Elternteil aussprechen und den Kontakt mit ihm schließlich ganz verweigern. Bezeichnenderweise gibt es häufig vor dieser endgültigen Ausgrenzung eines Elternteils eine Phase, während der die Kinder sehr stark hin- und hergerissen sind und sich jeweils beim einen Elternteil ganz entschieden gegen den anderen aussprechen und umgekehrt. Da zwischen den Eltern aber meistens "Funkstille" wenn nicht offene Feindseligkeit herrscht, kommt es entweder gar nicht zu einem Austausch der Information oder aber diese wird in dem bereits verfestigten Klima von gegenseitigem Misstrauen als taktisches Vorgehen oder Lüge verworfen.

Einfache Erklärungen und radikale Lösungen

Diese beiden stark schematisierten Verläufe (Rückzug aus der Elternrolle, Rückzug des Kindes) vermischen sich häufig in den schwerwiegenden und dramatischen Fällen von scheinbar plötzlichem Kontaktabbruch. In diesem Zusammenhang wird neuerdings gerne vom sogenannten "parental alienation syndrome", abgekürzt "PAS" gesprochen. Dieser Erklärungsansatz geht von der klinischen Beobachtung aus, dass in Fällen hartnäckiger kindlicher Kontaktverweigerung eine extrem enge Bindung dieses Kindes an einen entfremdenden Elternteil (in der Regel die Mutter) vorhanden ist. Diese habe ihr Kind - zum Teil unbewusst - dahingehend beeinflusst ("programmiert"), dass es den von ihr selbst mit Hass verfolgten Elternteil ablehne. Zur Ausgrenzung des Vaters leiste das Kind dann einen eigenständigen Beitrag, indem es sich quasi selbst verpflichte, eigene Erfahrungen mit ihm zu einer Ablehnungskampagne aufzubauschen, nicht zuletzt, um (unbewusst) die Mutter vor dem Verdacht der "Gehirnwäsche" zu schützen.

In der deutschen Diskussion häufig vereinfachend zitiert und in den USA zunehmend in der Fachwelt kontrovers diskutiert, plädiert der amerikanische Kinderpsychiater Richard A. Gardner, der den Begriff des PAS geprägt hat, bei schweren Fällen zu Radikallösungen zu greifen: bis hin zu Gefängnisstrafe für den "programmierenden" Elternteil und der Herausnahme des Kindes aus der Familie sowie der Platzierung beim bis dahin ausgegrenzten Elternteil bzw. vorläufige Unterbringung des Kindes in einem Heim oder bei Verwandten.

Ein differenzierter Erklärungs- und Lösungsansatz

Diesen radikalen und vordergründigen "Lösungen", deren Auswirkungen auf die Psyche des Kindes nicht abzuschätzen sind, werden differenziertere und aufwändigere therapeutische Vorgehensweisen entgegengesetzt. Neuere Forschungsansätze aus den USA, vertreten durch die beiden Sozialwissenschaftlerinnen und Familientherapeutinnen Janet R. Johnston und Joan B. Kelly, plädieren inzwischen für eine konsequent systemische Sichtweise. Sie verweisen auf die Komplexität der Familiendynamik und belegen anhand einer umfangreichen klinischen Praxis, dass beide Elternteile und häufig auch die erweiterte Familie dazu beitragen, wenn es zu einem Kontaktabbruch mit dem Vater kommt. Dabei ist auch begrifflich zwischen den Fällen zu unterscheiden, in denen der Kontaktabbruch auf eine sehr schwache und instabile Bindung zwischen Vater und Kind zurückzuführen ist, und denjenigen, in denen eine starke Ambivalenz der kindlichen Gefühle durch Kontaktabbruch (scheinbar) gelöst wird.

Die Verantwortlichkeit für die Zerrissenheit der kindlichen Gefühlslage wird bei beiden Eltern (und ihren Familien) gesehen. Während beim sorgeberechtigten Elternteil eine ausgeprägte Tendenz zu beobachten ist, das Kind mit der eigenen Befindlichkeit und speziell auch der eigenen ablehnenden Haltung gegenüber dem anderen Elternteil zu konfrontieren, gilt dies für den außerhalb lebenden Elternteil in vielen Fällen nicht minder. Bei beiden Eltern sind auch häufig mangelnde elterliche Kompetenzen zu beobachten - nicht selten verknüpft mit tiefer liegenden Störungen von Persönlichkeitsmerkmalen -, die wichtig für die Gestaltung von Beziehungen sind. So gelingt es häufig beiden Eltern nicht, sich dem Kind emotional angemessen zuzuwenden; sie neigen dazu, die kindlichen Bedürfnisse zu leugnen und die eigenen Wünsche (insbesondere denjenigen, vom Kind verstanden und getröstet zu werden) in den Vordergrund zu stellen. Darüber hinaus sind sie in der Regel nicht in der Lage, den anderen Elternteil in seiner Bedeutung für das Kind angemessen und differenziert zu würdigen.

Das Kind lebt, solange es zu beiden Eltern Kontakt hält, in widersprüchlichen Welten, in denen es ständig mit Widersprüchen kämpfen muss: Es kann nicht gleichzeitig beide Eltern lieben, wenn ihm derjenige, bei dem es sich gerade aufhält, direkt oder indirekt vermittelt, dass der andere Elternteil (den das Kind ja in der Regel auch liebt) nicht liebenswert ist. Schon relativ harmlose Bemerkungen wie "Wir können uns das jetzt nicht mehr leisten, aber der Papa kann dir das bestimmt kaufen, der hat ja schließlich auch genügend Geld, mit seiner neuen Freundin dauernd in Urlaub zu fahren" legen die Schlussfolgerung nahe, dass der Vater für die in vielen Familien nach der Trennung tatsächlich schwierigere Gesamtsituation allein verantwortlich ist. Sie machen es dem Kind schwer, seine eigenen, in der Regel durchaus guten Erfahrungen mit dem Vater mit diesem negativen Bild in Übereinstimmung zu bringen. Dies gilt umso mehr, wenn es den Müttern nicht gelingt, positive Verhaltensweisen beim Vater anzuerkennen, und sie daran festhalten, dass dieser sich schließlich auch vor der Trennung kaum um sein Kind gekümmert habe und sich nicht wirklich geändert haben könne.

Längerfristig wird es auf diese Weise dem Kind unmöglich gemacht, zu beiden Eltern eine enge Beziehung zu haben, ohne dadurch in so genannte Loyalitätskonflikte zu geraten ("Wenn ich dem Papa sage oder zeige, dass ich ihn lieb habe, enttäusche ich die Mama, denn die mag den Papa überhaupt nicht mehr" und häufig auch umgekehrt). Besonders schwierig wird es dann, wenn Kinder sich widersprechende Botschaften empfangen: "Ich will deinen Vater nicht mehr sehen, weil er mir sehr wehgetan hat (nicht ausgesprochen, aber "zwischen den Zeilen": dieser Schuft), aber selbstverständlich kannst du zu ihm (diesem Schuft) gehen, wenn du das möchtest". Derartige Doppelbotschaften sind von Kindern auf Dauer sehr schwer auszuhalten.

Die sich anbietende Lösungsmöglichkeit bei fortgesetzter elterlicher Missachtung der kindlichen Bedürfnisse besteht in der beschriebenen Kontaktverweigerung. Dabei werden häufig tatsächliche Enttäuschungen, die das Kind in der fernen oder nahen Vergangenheit mit dem plötzlich abgelehnten Elternteil erlebt hat, von ihm sehr stark betont und verzerrt dargestellt werden ("Wenn ich Papa besucht habe, hat er immer nur mit seiner neuen Freundin geschmust und sich nie um mich gekümmert").

In dieser Situation muss auf allen Ebenen des Familiensystems interveniert werden, damit das Kind aus einer inneren Not befreit wird, die es nur vordergründig durch die Ablehnung eines Elternteils lösen kann. Im therapeutische Rahmen werden ihm der Ausdruck dieser inneren Not sowie eine differenzierte Sichtweise beider Eltern und der eigenen Beziehung zu ihnen ermöglicht. Dabei geht es durchaus auch um reale Enttäuschungen, die stattgefunden haben, und um die Erkenntnis, dass möglicherweise beide Eltern das Kind mit ihren eigenen Problemen belastet und überfordert haben. Entsprechend muss auch den Eltern - zum Teil in sehr umfangreicher Beratungsarbeit - vermittelt werden, welche Bedürfnisse ihr Kind hat, wie sie diesen gerecht werden können und weshalb es notwendig ist, dem anderen Elternteil in seiner Beziehung zum Kind Wertschätzung zu zeigen.

Länger- und langfristige professionelle Hilfe ist in den Fällen vonnöten, in denen bei den Eltern schwerere Beeinträchtigungen der Persönlichkeit vorliegen, die es ihnen nicht ermöglichen, zu einer kindgerechten Haltung zu gelangen. In diesen Fällen kann dann auch der - zeitweilige - Abbruch des Kontakts zu einem Elternteil die den Umständen entsprechende beste Lösung sein - aber nicht als "freie" Entscheidung des Kindes, sondern im Ergebnis einer sorgfältigen Diagnostik und Beratung der ganzen Familie.

Was können Eltern (vorbeugend) tun?

Was können Mütter und Väter tun, damit nicht einer von ihnen zum "Fremden" für das Kind wird und es damit einen Teil seiner Herkunft und seiner Identität leugnen muss? Zunächst einmal sollten sie sich bemühen - auch wenn das im Einzelfall sehr schwer fallen kann - zu trennen (1) zwischen den eigenen Enttäuschungen, die ihnen vom ehemaligen Partner zugefügt wurden und möglicherweise noch werden, und (2) den Erfahrungen, die das Kind mit ihm macht. Im Interesse des Kindes und auch, wenn es verständlichen eigenen Abgrenzungsbemühungen entgegenläuft, sollten sie den anderen soweit wie möglich in der Ausübung seiner Elternrolle unterstützen. Einen wichtigen Beitrag leisten sie schon dadurch, dass sie selbst negative Äußerungen vermeiden sowie enttäuschende Erfahrungen des Kindes nicht von vorneherein verstärken und diese als "Aufhänger" für eigene Klagelieder nutzen.

Und auch wenn das Kind negative Erfahrungen mit den Eltern machen musste (es z.B. immer wieder unpünktlich abgeholt wurde, versprochene Geschenke nicht gemacht wurden etc.), so sind diese Erfahrungen doch ein Teil seiner Realität und Geschichte. Es sollte die Chance bekommen, sich ihnen in der Auseinandersetzung mit dem Elternteil zu stellen und auch neue (korrigierende) Erfahrungen machen zu können. Unter Umständen muss dies in vor den elterlichen Streitigkeiten geschützten Räumen geschehen, zum Beispiel im Rahmen von begleitetem Umgang.

Sollte allerdings die Beziehung zum Vater oder zur Mutter durch traumatisierende Erfahrungen belastet sein (z.B. bei sexuellem Missbrauch), so muss sehr genau abgewogen werden, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Rahmen eine Begegnung möglich ist und dem Interesse des Kindes entspricht.

Für alle Eltern gilt, dass sie immer wieder - auch dann, wenn die Familiensituation sehr schwierig ist und festgefahren scheint - kritisch überprüfen sollten, ob sie in ihrer eigenen Beziehung zum Kind dessen emotionalen Bedürfnissen gerecht werden. Sie sollten auch dann, wenn sie selbst in einer schwierigen Phase stecken, nicht der Versuchung nachgeben, das Kind zum Bündnispartner oder "Tröster" zu machen. Darüber hinaus sollten sie immer wieder und im Namen ihres Kindes versuchen, ihren Beitrag zur Entschärfung des elterlichen Konflikts zu leisten.

Der definitive Vaterverlust gehört aber zu den schlimmsten Katastrophen, die Kinder erleben können.

(Prof. Dr. med. Horst Petri, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie)

Literatur

Johnston, Janet R. (2001). Rethinking parental alienation and redesigning parent-child access services for children who resist visitation or refuse visitation. http://www.ifp-bayern.de/cms/BU_Johnston.pdf, Abruf am 14.04.2002.

 

Autorin

Mechtild Gödde, Diplom-Psychologin
Staatsinstitut für Frühpädagogik
Prinzregentenstraße 24
80538 München

 

 

 

 

 

eingefügt bei Väter-Welt 28.01.2003

 

 

 

Ursula Kodjoe:
 
Was braucht ein Kind
in Anbetracht der Vielfalt heutiger Familienformen?


Ein Kind braucht zu seinem Glück eine Tür mit einer Klingel, an der sein Name steht. Eine Tür, die ihm immer aufgemacht wird und in der jemand auf es wartet und es in den Arm nimmt.

Einen Vater und eine Mutter, die ihm dieses Zuhause schaffen und die es ihm erhalten können. Die verfügbar sind, real und emotional. Eltern, zu denen das Kind eine sichere Bindung und eine Beziehung entwickeln kann, die seine Signale erkennen und auf seine Bedürfnisse alters- und entwicklungsangemessen reagieren.

Fehlt ein Elternteil, so fehlt dem Kind in der Regel die Hälfte seiner Identität. Wird dieser Elternteil auch noch vom anderen abgewertet, erleidet es erhebliche Einbußen in seinem Selbstwertgefühl. Trennungskinder müssen deshalb von beiden Eltern immer wieder gesagt bekommen, dass sie keinen von ihnen verlieren, obwohl die Eltern beschlossen haben, nicht mehr zusammen zu wohnen. Neu hinzukommende Partner der Eltern, zu denen das Kind eine tragfähige Beziehung aufbauen kann, sind ebenso wie seine Beziehung zu anderen Erwachsenen eine Bereicherung und Erweiterung seines sozialen Netzwerkes, das ihm Zuwendung, Förderung und Unterstützung bieten kann. Sie können kein Ersatz sein für einen leiblichen Elternteil, zu dem das Kind eine enge Bindung aufgebaut und eine liebevolle Beziehung entwickelt hatte.
 

  • Für optimale Entwicklungsbedingungen braucht ein Kind die Liebe, Zuwendung, Fürsorge und Förderung durch beide Eltern, auch – und gerade – nach deren Trennung als Ehe- und Lebenspartner.
  • Es ist im besten Interesse der Kinder, wenn sich die Eltern auch nach der Trennung einvernehmlich um die Angelegenheiten der Kinder kümmern.


Die Bedeutung des Vaters für die intellektuelle, soziale und moralische Entwicklung der Kinder ist Forschungsevidenz. Kleinkinder brauchen beide Eltern zur Entwicklung zweier Bindungs- und Beziehungsobjekte. Bereits ab dem 2. Lebensmonat unterscheiden Kinder Vater und Mutter und treten zu ihnen in unterschiedliche Beziehungen, die sich gegenseitig ergänzen und bereichern. Die Dreiecksbeziehung Vater-Mutter-Kind ist die ursprünglichste aller Beziehungsformen und verhindert das Verharren des Kindes in der Abhängigkeit der Zweierbeziehung Mutter-Kind.

Das Hin- und Herpendeln zwischen Vater und Mutter eröffnet dem Kind die männliche und die weibliche Erlebniswelt und fördert seine körperliche, seine intellektuelle und seine soziale Entwicklung. Der Umgang eines Kleinkindes mit dem außerhalb lebenden Elternteil erfordert von den Eltern Einsicht in die Wichtigkeit des ehemaligen Partners und den Willen, die Beziehung zuzulassen und kindgerecht zu gestalten.

Intakte, lebendige Eltern-Kind-Beziehungen sind nur ein Faktor in der Betrachtung der generellen Lebenszufriedenheit von Vätern, Müttern und ihren Kindern. Dieser Faktor wirkt jedoch in alle anderen Lebensbereiche hinein und beeinflusst die Qualität, die gesamte Gestaltung und den Verlauf der individuellen Biografie tief greifend.
 

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  °) von der Autorin autorisierte, gekürzte Fassung eines Beitrags in:
     Bernd Rill / Carsten Rummel: Elternverantwortung und Generationenethik
    in einer freiheitlichen Gesellschaft
    in: Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen 30, herausgegeben von der
    Hans Seidel Stiftung, München
 

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